Hauptsache Selbstgemacht – Wenn Handmade zur Pflicht wird

HAUPTSACHE SELBSTGEMACHT – WENN HANDMADE ZUR PFLICHT WIRD

Da ist das Kuchenbüffet. Mein mitgebrachter Käsekuchen findet schnell seinen Platz darauf. Mir fällt die Kinnlade herunter, als ich die Platte mit Einhornmuffins sehe, einen Tennisplatz aus Marzipan erkenne, daneben eine dreistöckige Schokotorte in Schiffsform und sonnengelb glasierte Bisquitemoji. Du liebe Zeit! Klar, die Tennispartner und die Segelcrew sind am Start, auch die Arbeitskollegen feiern mit! Für einen kurzen Moment fühle ich mich richtig mies. Wie einfallslos habe ich meinen Beitrag geleistet. Wenigstens herzförmig hätte mein Käsekuchen schon sein können. Schließlich bin ich bei einer guten Freundin eingeladen!

Doch dann komme ich ins Grübeln. Seit wann ist das Gebacke und Gebastle eigentlich zur Messlatte für ein erfülltes Leben mit Mußestunden geworden, deren Ergebnis dem lieben Nächsten gewidmet wird? Da wird Selbstgemachtes offensichtlich zur Währung in einer Zeit, in der unsere Tage immer stärker mit Arbeit, Familie, Freunden und Freizeitaktivitäten durchgetaktet sind. Ganz nach dem Motto: Du bist es mir wert, dass ich meine kostbare Zeit für dich opfere. Ganze Industriezweige hängen bereits an der DIY-Welle dran. Der Digitalisierung sei Dank! Für fast alles gibt es einen kompletten Bausatz im Netz zu bestellen und die klugen Tipps, wie das Flohmarktschränkchen salonfähig rausgeputzt werden kann, gibt es gratis dazu.

Offensichtlich muss heutzutage das Entspannen und Runterkommen für jeden sichtbar mit einem Ergebnis gekrönt werden. Bloß nicht in der Sonne sitzen und Bienen beobachten oder einfach dem Knistern des Lagerfeuers lauschen. Am Ende der Auszeit muss sich das Regal biegen unter den Einmachgläsern mit Drachenfruchtkompott nach Asia-Art. Diese werden dann noch umgehend auf Instagram gepostet, um beim Brunch mit den zwanzig besten Freundinnen präsentiert werden zu können. Klar, Selbstgemachtes gibt in der digitalisierten, entfesselten Welt eine notwendige Bodenhaftung und versteht sich als deutliches Zeichen gegen Wegwerf- und Konsumwahn.

Aber welchen Sinn hat das Selbsterschaffen, wenn es offensichtlich wieder völlig fremdgesteuert ist? Wenn seit Wochen das Paket ungeöffnet, mit dem kompletten Material für die neue Patchworkdecke –  sogar die Schere ist im Set enthalten – von einer Ecke in die andere geschoben wird und wie ein erhobener Zeigefinger zur Entspannung mahnt?  Wenn handmade zur Pflicht und somit ein weiterer Stressfaktor in unserem Zeitplan wird? Die Schultüte in Raketendesign benötigt so viel mehr Zeit als im Demovideo angekündigt, deshalb kommt die Fertigpizza in den Ofen, damit der Magen nicht knurrt. Wie schräg ist das denn? 

Eine Tasche zu nähen aus einem alten Sommerkleid, die geerbte Anrichte mit einem neuen Anstrich zu versehen, um sie vor dem Sperrmüll zu retten oder die beim Spaziergang gesammelten Holunderblüten zu Sirup zu verarbeiten, damit das nächste Sektfrühstück besser schmeckt, dazu braucht es keine zeitaufwändige Internetrecherche mit anschließender Großbestellung beim billigsten Anbieter. Das ergibt sich ganz einfach ohne minimalistisch geplant zu werden. Das Ergebnis erfreut und befriedigt in erster Linie mich selbst. Auch ist es dann gar nicht nötig, dem Rest der Welt ein Bild mit der eigenen Taschenkreation in den sozialen Medien zu präsentieren. Die Freude beim Befüllen ist ehrlich und unbelastet.

In diesem Sinn an alle gestressten Selfmadefreaks unserer Welt: Es ist nicht verboten, Dinge, die auch selbstgemacht werden könnten, käuflich zu erwerben! Besonders dann nicht, wenn die Eigenproduktion den letzten Nerv raubt.

Und egal, was euch so umtreibt, ich meistere mein Leben mit Käsekuchen. Der ist eben schnell gemacht, keiner muss sich beim Betrachten die Frage stellen, ob alle Teile daran essbar sind und selten muss ich Reste davon wieder mit nach Hause nehmen.